Montag, 26. November 2007

Der gezähmte Russen-Hitler

Der gezähmte Russen-Hitler

Der „Woschd“ – der „Führer“, wie die Anhänger der Liberaldemokratischen Partei ihren Vorsitzenden Wladimir Schirinowskij nennen, ist das enfant terrible des russischen Politschauspiels. Der ultranationalistische Demagoge will als Präsidentschaftskandidat antreten. Andrej Lugowoj, der mutmaßliche Mörder des mit Polonium vergifteten Alexander Litwinenko, ist der zweite Mann neben ihm.

Sobald die gepanzerte Staatslimousine von Wladimir Schirinowskij anhält, gehen alle in Habacht-Stellung. Der „Woschd“, übersetzt „der Führer“, rückt an. So nennen die Anhänger ihren Vorsitzenden der Liberaldemokratischen Partei Russlands (LDPR). Schon Josef Stalin hat sich so betiteln lassen. Der breitschultrige, glatzköpfige Leibwächter springt vom Beifahrersitz auf, hält dem Parlamentsabgeordneten die Autotür auf. Zwei schlaksige junge Helfershelfer holen Flugzettel und Parteiprogramme aus dem Kofferraum. Russische und ausländische Journalisten zücken die Mikrofone. Sie alle wissen: Wenn Schirinowskij in den Wahlkampf zieht, seine geballte Faust gegen seine Zuhörer erhebt und mit Worten um sich schießt, dann ist jeder seiner Sätze eine Kampfansage.

Der Unruhestifter wettert gegen Alles und jeden: In einem hautengen schwarzen Batman-Kostüm verkleidet rapt er mit einer Hip-Hop-Gruppe gegen Drogendealer und Sowjetnostalgiger oder er zettelt Prügeleien im Parlament an. Wenn er nicht mit ausfallenden Worten die Kommunisten anschreit oder Polizisten bei einer Straßenkontrolle als Banditen beschimpft, dann findet er seine Feinde im Ausland: Die Briten hätten die Revolution von 1917 angezettelt – genauso wie den Krieg in Tschetschenien. Die USA würden von Georgien aus den Kaukasus, den kaspischen Raum und den Nahen Osten kontrollieren und die weltweiten Ölreserven in Beschlag nehmen. Die Chinesen hätten die Absicht, Sibirien und den fernen Osten Russlands zu erobern. In der Welt von Wladimir Schirinowskij gibt es viele Bösewichte – und unter all diesen brüstet er sich dann als Saubermann.

Der Provokateur umgibt sich gern mit den Feinden des Westens, wie einst mit dem Diktator Saddam Hussein, den er öfter in Bagdad besuchte. Der eigentliche Alleinherrscher seiner Liberaldemokratischen Partei hat sich kürzlich einen in Russland populären zweiten Mann zur Seite gestellt: Andrej Lugowoj, den die britischen Behörden verdächtigen, den Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko in London mit radioaktivem Polonium vergiftet zu haben. „Seht her, das ist ein echter russischer Patriot“, preist ihn Schirinowskij und provoziert damit einmal mehr seinen derzeitigen Lieblingsfeind England, das die Auslieferung von Lugowoj fordert. Der angebliche Ex-Agent und heutige Unternehmer in der Sicherheitsbranche, Lugowoj, stellt den optimalen Kandidat, um den drögen Wahlkampf in Russland mit anti-westlichen Parolen aufzupeppen. Gleichzeitig wird er als zukünftiger Parlamentsabgeordneter strafrechtliche Immunität genießen und die Forderungen nach Auflieferung an England werden damit endgültig vom Tisch gekehrt.

Mit seinen rhetorischen und mitunter auch handgreiflichen Ausfällen hat sich der Demagoge in den 18 Jahren seiner Politikerkarriere international viele Namen gemacht: Als den „Russen-Hitler“ bezeichnete ihn die Bild-Zeitung. „Russlands ersten Staatsclown“ nennt ihn die die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Der 61-jährige Jurist und Doktor der Philosophie ist seit 1989 Vorsitzender der Liberal-demokratischen Partei Russlands (LDPR), die weder liberal noch demokratisch ist. Aus europäischer Perspektive gehört die LDPR ins ultranationalistische oder rechtskonservative Lager, auch wenn Schirinowskijs Ideologie nicht rassistisch ist. Als Sohn eines polnischen Juden und studierter Orientalist, der fließend Türkisch spricht, macht er sich für ein russisches Imperium stark, das sämtliche Turkvölker südlich von Russland integriert. „Der große Sprung nach Süden“ ist der Titel seines politischen Pamphlets, das in den neunziger Jahren für Wirbel sorgte. Darin zeichnete er seine Vision, in welcher „russische Soldaten ihre Stiefel im indischen Ozean waschen“. Auch zu den diesjährigen Parlamentswahlen hat er wieder eine 50-seitige Broschüre verfasst, die er stolz auf der Pressekonferenz bei der Zeitung „Argumenty i Fakty“ verteilt. „LDPR – die russische Macht“ heißt sie. Der Wahlslogan, mit dem sich Schirinowskij auf den Plakaten schmückt, lautet: „Nicht lügen – sich nicht fürchten!“ – auch auf diesen Postern hat er seine Hand zur Faust geballt.

Die LDPR brüstet sich damit, die älteste Partei Russlands zu sein. Offiziell wurde sie 1918 zum ersten Mal als so genannte nicht-kommunistische Partei registriert. Schirinowski hat sie 1989 nur neu auflegt. Sie hat nach eigenen Angaben 146 000 Mitglieder und ist in allen Bundesländern der Russischen Föderation vertreten. In ihrem 47 Seiten umfassenden Parteiprogramm zielt die LDPR darauf ab, ein russische Imperium ohne Sowjetnostalgie zu errichten: Eine starke Armee solle wieder her, damit Russland nicht untergehe.

Um seine Bedrohungsszenarien zu unterstreichen hebt der Scharfmacher während seiner Hasstiraden auf der Pressekonferenz in Moskau warnend den Zeigefinger, haut mit der Faust auf den Tisch und holt zwischendurch tief Luft bevor er wie ein Maschinengewehr loslegt: „Das sind doch alles Idioten!“, zieht er über seine Wahlkampfgegner her. Der Vorsitzende der Kommunisten, Gennadi Sjuganow, sei ein Marxist. Und Boris Gryslow von der Putin-Partei „Einheitliches Russland“ und Sergej Mironow von der „Partei Gerechtes Russland“ seien „Kremlowskijs“, wie er die Politmarionetten des Kremls nennt.

Dabei ist er selbst einer dieser Hampelmänner, die der Kreml installiert hat um die Parteienlandschaft aufzuwirbeln. Als ehemaliger Offizier der Sowjetarmee und juristischer Berater einer KGB-Propagandaeinheit steht Schirinowskij nach wie vor im Dienst des Inlandgeheimdienstes, auch wenn er dies bestreitet. Der Politharlekin mit den vielen Gesichtern schlägt damit mehrere Fliegen mit einer Klappe.

Als ultranationalistisches, radikales Schreckgespenst spielt der zweifache Präsidentschaftskandidat das enfant terrible der russischen Politszene. Im Westen hat dies den gewünschten Erfolg: Schirinowski ist der personifizierte Albtraum aller, die auf eine demokratische Entwicklung in Russland hoffen. Dagegen kann Putin wie einst sein Vorgänger Boris Jelzin als liberaler Demokrat glänzen. Noch dazu dienen die imperialistischen Parolen als innenpolitische Strategie, der nach wie vor starken Kommunistischen Partei Stimmen zu klauen. Auch bei den Parlamentswahlen im Dezember liefert sich die LPDR ein Kopf an Kopf Rennen mit den Kommunisten. Beide Parteien haben Chancen, wieder in die Duma einzuziehen.

Seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen im März nächsten Jahres hat Schirinowksi bereits angekündigt. Dementsprechend wettert Wladimir „Wolfowitsch“ Schirinowskij einerseits gegen die Politik Putins, stimmt aber andererseits in der Duma wie ein gezähmter Wolf stets Kreml-konform ab. Als Chef einer angeblich liberaldemokratischen Partei hetzt er nicht nur gegen die Kommunisten, sondern auch gegen die „wahren“ Liberaldemokraten, Grigorij Jawlinski von der Oppositionspartei „Jabloko“ und Boris Nemzow von „Union der Rechten Kräfte“. Mit seinen simplen Parolen wie „gegen den schmutzigen, perversen Kapitalismus“ ist er der Blitzableiter für den Frust der einfachen Russen, die mit so Vielem unzufrieden sind. Mit nationalistischen und imperialistischen Losungen hat er seine Partei als Auffangbecken der rechtskonservativen Wähler etabliert. Die haben in ihm nicht nur eine aufmüpfige und erfolgreiche „Führerfigur“ gefunden, sondern die LDPR hat im Vergleich zu den rechtsradikalen Splittergruppen tatsächlich Erfolg, seit 18 Jahren im limitierten Politikspiel mitspielen zu dürfen und in der Duma vertreten zu sein. Über die „Nazisten, Faschisten, Hooligans und Skinheads“, die kürzlich in Moskau demonstriert haben, macht er sich lustig: „Die können noch so laut schreien, die haben doch nichts zu sagen“, winkt er spöttisch ab.

Alexej Mitrofanow, der ehemalige zweite Mann und Mitbegründer der LDPR, ist mittlerweile in die Kreml-Partei „Gerechtes Russland“ übergelaufen. Die LDPR befinde sich in einem „politischen Ghetto“ und es sei inzwischen „sinnlos“, Mitglied zu sein, erklärte Mitrofanow seinen Schritt. Seitdem nennt ihn der ehemalige Parteifreund Schirinowski einen „Verräter“. Auch hier zeigt sich Schirinowskijs Führungsstil: Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn. So hat er sich beim Chef der Partei „Gerechtes Russland“ sogar offiziell bedankt: „Wir sind Herrn Mironow sehr dankbar, dass er uns von Alexej Mitrofanow befreit hat.“ Dieser habe die Partei in den Schmutz gezogen, weil er den Erotikfilm „Julia“ mitproduziert habe. Darin spielen die Porno-Darsteller die Anführer der Revolutionen in Georgien und der Ukraine: Michail Saakaschwili und Julia Timoschenko.


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