Samstag, 10. November 2007

Die Putinjugend rüstet auf

Die Putinjugend rüstet auf

Von Simone Schlindwein, Moskau

10.000 Nashi-Aktivisten campen am Seliger See außerhalb von Moskau. Mit militärischem Training und ideologischen Parolen rüsten sie sich für die Parlaments-Wahlen im Dezember dieses Jahres – und sind bereit, gegen eine mögliche Revolution in Russland zu kämpfen.

Der militärische Drill der russischen Jugendorganisation „Naschi“ beginnt pünktlich in der Früh. Um acht Uhr morgens im Camp am Seliger See, rund 350 Kilometer nordwestlich von Moskau, jagt die Wachmannschaft die Aktivisten mit Trillerpfeifen aus den Schlafsäcken. Rund 10.000 treue Putin-Anhänger stehen ohne zu Murren zur Morgengymnastik stramm: „Los, los, los!“, kommandiert Naschi-Führer Wasilij Jakemenko über die Lautsprecheranlage. Laute Techno-Musik dröhnt über den Seliger See. Die Naschi-Mädchen joggen zur großen Bühne im Zentrum des riesigen Zeltlagers. Im einheitlichen, rot-weißen Sportdress werfen sie alle gleichzeitig die Arme in die Luft: „Und eins, und zwei, und drei…!“, es folgt eine Stunde Aerobic, während die Jungs ihren Zehn-Kilometer-Dauerlauf durch den Wald antreten. Im Gleichschritt, natürlich.

Das Sommerlager der Putinjugend „Naschi“ (die „Unsrigen“) findet in diesem Jahr zum dritten Mal statt. Doch dieses Jahr ist es anders: größer, organisierter, ideologisch ausgefeilter. Versammelten sich im vergangenen Jahr 5000 am Seliger See, so sind es diesen Sommer doppelt so viele. Die rund 10.000 Teilnehmer sind jung, ehrgeizig, strebsam – zwischen 16 und 26 Jahr alt. Alkohol und Zigaretten sind strikt verboten im Lager – militärischer Drill, Disziplin und Blutspenden dagegen an der Tagesordnung.

Täglich verkündet der 36-jährige Naschi-Führer Jakemenko eine neue Parole. Heute ist der „Tag der Wahl“. Die Aktivisten der Untergruppe „Naschi-Wahlen“ veranstalten Diskussionsforen und Gruppengespräche zum Thema „russische Parlamentswahlen 2007 und Präsidentschaftswahlen 2008“. Politische Unterstützung bekommen sie dabei, wie auch schon in den vergangenen Tagen, von der obersten Machtspitze Russlands. Der Vorsitzende der Putin-loyalen Partei „Vereinigtes Russland“, Andrej Worobew, und der Vorsitzende des zentralen Wahlkomitees, Wladimir Tschurow, sind aus Moskau angereist, um an den Foren teilzunehmen. Am Abend traf sich auch Präsident Wladimir Putin mit Naschi-Vertretern, im Garten seiner Residenz nicht weit vom Seliger See. In eindringlichen Worten machte er deutlich, wie wichtig die Aktionen seiner Jugendorganisationen für die bevorstehenden Wahlen und die Zukunft des Landes seien.

Am vergangenen Wochenende waren auch die beiden Vize-Ministerpräsidenten Sergej Iwanow und Dmitrij Medwedew zu Besuch im Zeltlager. Locker in Jeans gekleidet, ohne Krawatte und mit offenen Hemdsärmeln stellten sie sich der Putin-Jugend als „Dmitrij und Sergeij“ vor. Ihre Botschaft an die Putinjugend war eindeutig auf die demografische Krise Russlands bezogen: „Auch wenn ihr noch jung seid, ist es an der Zeit, euch Gedanken über eure Rente zu machen, indem ihr eine große Familie gründet, die euch im Alter versorgt“, mahnte Medwedew.

Es ist immer gut, per „Du“ mit den Politikern im Kreml zu sein. So verwundert es nicht, dass heute, zwei Tage nachdem der ehemalige Verteidigungsminister Iwanow sich mit Vornamen der Putin-Jugend vorgestellt hat, die russische Luftwaffe ihre Flugshow über dem Naschi-Camp zum Besten gibt. Pünktlich zur Mittagspause erreichen sechs SU-27 Kampfflugzeuge den strahlend blauen Himmel über dem Seliger See. Völlig gebannt verfolgen die 10.000 Naschi-Aktivisten die Luftschlacht der russischen Eliteeinheit „die Falken Russlands“, die 600 Kilometer südlich stationiert ist. Wer die eindrucksvolle Flugshow bezahlt, darüber geben die Luftstreitkräfte keine Auskunft, auch das Verteidigungsministerium blockt jede Nachfrage ab.

Über die Finanzierung der Putinjugend und des Sommercamps spricht man auch bei Naschi nicht gern. Lieber hüllt sich Naschi-Pressesprecherin Elena Jefremowa in Schweigen und betont dagegen die guten „persönlichen“ Verbindungen in die Präsidialadministration Wladimir Putins. Der Vize-Chef der Präsidialadministration und Chefideologe im Kreml, Wladislaw Surkow, gilt als geistiger Ziehvater der Jugendpartei. Naschi-Anführer Jakemenko kennt ihn von einem Praktikum im Kreml. „Wir präsentieren immer Wasilij Jakemenko unsere Projekt-Ideen und wenn er sie für gut hält, dann kümmert er sich um die Finanzierung“, weicht Jefremowa aus.

Surkow gilt in Russland als Puppenspieler, bei dem im Hintergrund die Fäden der Macht zusammenlaufen. Der Marketingexperte ist eine Schlüsselfigur in der russischen Innenpolitik. Ihm wird die Zusammenlegung der beiden Parteien „Einheit“ und „Vaterland Ganz Russland“ zur zentralen Partei der Macht „Vereinigtes Russland“ zugeschrieben, die bei den Parlamentswahlen 2003 zwei Drittel der Duma-Sitze erringen konnte. Surkow hat im Jahr 2006 der russischen Öffentlichkeit die Vorstellungen der „Souveränen Demokratie“ präsentiert. Eine Analyse der Russland-Expertin Margareta Mommsen zeigt, dass dieses politische Konzept die russische Antwort auf die Revolutionen in Georgien 2003 und der Ukraine 2004 ist.

Mit dem Leitmotiv der „Souveränen Demokratie“ brüskiert sich auch Naschi-Anführer Jakemenko, wenn es um die Ziele der Putinjugend geht. „Unsere Ideologie ist: Russland soll wieder stark werden, niemand soll Russland bedauern“, wettert er in einem Interview mit der Zeitung „Argumenty i Fakty“. Er selbst hat vergangene Woche seinen Rücktritt als Anführer der Jugendorganisation erklärt. Er sei zu alt für Naschi und wolle der jungen Generation Platz machen, meint er. Doch es gibt bereits Gerüchte, dass Jakemenko in den Kreml abberufen wurde.

Mit aggressiven Parolen rüsten sich die jungen, vaterlandstreuen Aktivisten gegen eine mögliche Revolution in Russland vor den anstehenden Wahlen. Im April haben Naschi-Anhänger in Moskau über 10.000 SIM-Karten an junge Russen verteilt, mit denen man direkten SMS-Kontakt zum Kreml herstellen kann. „Die Leute sollen wissen, was sie tun sollen, um ihr Vaterland zu verteidigen, wenn Radio und Fernsehen nicht mehr funktionieren. Wir bereiten sie auf eine anstehende pro-westliche Revolution vor“, erklärt die Naschi-Anhängerin Tatjana Matischa. Sie hätten die Jugendlichen instruiert, schon beim ersten Verdacht einer Revolution eine Textnachricht an den Kreml zu schreiben. Im Mai sei sogar ein Trainingscamp zur Niederschlagung einer Revolution veranstaltet worden, sagt sie.

In den vergangenen Monaten organisierten die Putin-treuen Aktivisten eine Reihe quasi-militärischer Trainingseinheiten: Im Juni hat die Gruppe „Naschi-Armee“ ein Trainingscamp 25 Kilometer außerhalb von Moskau veranstaltet. Auf der Tagesordnung standen Schießübungen mit Kalaschnikows und psychologische Schulungen. „Der Feind benutzt Methoden der Manipulation und Provokation gegen uns“, ist die 22-jährige Matischa überzeugt: „Wir müssen gewappnet sein, müssen kämpfen, wenn es verlangt wird, und wir müssen die Prinzipien unserer Regierung verteidigen, wenn es nötig ist.“

Wer die so genannten Feinde sind, das wird im Naschi-Lager am Seliger See groß und deutlich sichtbar. Dort hängen überdimensionale Poster unter der Überschrift „Rotlichtmilieu“. Darauf zu sehen sind die Vertreter der Opposition wie der ehemalige Ministerpräsident Michail Kasjanow, Schachweltmeister Garri Kasparow und Eduard Limonow, Gründer der National Bolschewistischen Partei Russlands – sie sind halbnackt in Frauenkleidern als Prostituierte abgebildet. „Das sind die Leute, die Russland verkaufen!“, macht die Naschi-Pressesprecherin klar.

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,496329,00.html

Keine Kommentare: