Schon Kinder heben die Hand zum Hitler-Gruß
Von Simone Schlindwein, Moskau
Hetze gegen Kaukasier, Tschetschenen, Dagestani: Zum "Tag der nationalen Einheit" marschieren in Moskau die Ultrarechten mit martialischen Sprüchen auf. Selbst Kinder missbrauchen sie für ihre Neonazi-Propaganda. Kurz vor den Parlamentswahlen schlagen Menschenrechtler Alarm.


Russische Skinheads, Hooligans, Nationalisten, Faschisten und Rassisten sind am „Tag der nationalen Einheit“ zum Kutosowskij Prospekt gekommen. Fahnen schwenkend marschieren sie in Reih und Glied am Ufer des Moskau-Flusses entlang, zum Hotel „Ukraina“ gegenüber des „Weißen Hauses“, dem Sitz der Regierung. „Russland den Russen“, brüllen die Demonstranten im Chor, dann folgen die Losungen: „Für eine slawische, russische Nation“, oder „slawisch, russisch, mächtig!“ – Zwischendurch strecken sie den rechten Arm zum Hitlergruß aus.
„Slawisches Russland“ brüllen sie dabei lautstark, gefolgt von Trommelwirbel.
„Wir sind gegen die Einwanderung der Kaukasier und Asiaten in Russland. Unser Volk muss rein bleiben. Russland gehört uns“, erklärt der 32jährige Andrej Bukow. Der studierte Medientechniker „dient“, wie er sagt, schon seit vier Jahren in der „Bewegung gegen die illegale Einwanderung“, er schwenkt deren weiß-gelb-schwarze Fahne mit dem Hakenkreuz ähnlichen Zeichen.
Auch der 19jährige Sergej trägt die rote Fahne seiner Gruppe „Slawische Vereinigung“ um die Schultern gebunden. „Wir Russen gehören zur weißen Rasse. Die Schwarzen – die Kaukasier, die Tschetschenen, die Dagestani – die sollen weg bleiben“, sagt der Moskauer Student der Akademie für Finanzwesen.
Die rund zweitausend Demonstranten der ultranationalistischen Szene, die zum dritten Mal den so genannten „Russischen Marsch“ abhalten, sind ein bunter, uneinheitlicher Haufen. Ein Sammelbecken der Unzufriedenen, die aus allen Schichten der Gesellschaft kommen. Zwischen Hakenkreuz tragenden Glatzköpfen in schwarzen Ledermänteln, Springerstiefeln, SS-Uniformen oder Bomber-Jacken, gesellen sich alte Frauen, die schlecht kopierte Flugzettel verteilen, junge geschminkte Studentinnen in hochhackigen Stiefeln und Eltern mit ihren kleinen Kindern in bunten Schneeanzügen. Selbst sie strecken schon den Arm zum Hitlergruß ausstrecken.
Die Rentnerin Monika Nikolajewa verteilt eifrig Flugblätter, auf denen Oligarchen wie Boris Beresowskij, Wladimir Gusinskij und Michail Chodorkowski als Volksfeinde abgebildet sind. „Diese Milliardäre schicken ihre Kinder im Ausland auf die Schule“, regt sich die Großmutter einer 15jährigen Enkelin auf: „Für unsere Kinder reicht das Geld nicht einmal, um sie in Russland auf die Universität gehen zu lassen.“ Deswegen, so erklärt sie, ist es gut, dass die Jugend auf die Straße geht und protestiert. „Vor allem die jungen Mädchen bekommen doch nur wenig Bildung!“
Mit den jungen Mädchen meint sie Technik-Studentinnen wie Olga und Darja, die im Fahnenzug mitmarschieren. „Wir sind gegen alles, wir sind Patrioten“, geifert die 18-jährige Olga. Zusammen mit ihrer 19jährigen Freundin ist sie wegen dieser Demo aus der südrussischen Stadt Rostow am Don nach Moskau gefahren. Bei der Frage, gegen was sie demonstrieren, muss sie kurz überlegen und stottert: „gegen die anti-russische Politik auf der Welt – genauer kann ich es nicht sagen.“
Andreas Umland, Russland-Experte für vergleichende Faschismusforschung hält diese „organisierten Neonazis“ politisch für relativ ungefährlich. „Das ist pure Provokation einer Subkultur“, sagt er. Der militärische Faschismus sei aus dem deutschen Reich importiert und mit russischen und orthodoxen Symbolen angereichert. „In der breiten Gesellschaft Russlands sind diese Faschisten stigmatisiert“, erklärt er, „dieser Russische Marsch ist eher eine
Protestbewegung.“
Dennoch lässt der Kreml die Ultrarechten am Staatsfeiertag der „nationalen Einheit“ marschieren und stellt tausende Sicherheitsbeamten ab, um den aggressiven Mob unter Kontrolle zu behalten. „Um die Macht des autoritären Staates zu demonstrieren, sind die Nazis als Schreckgespenst durchaus gewollt“, sagt Umland. Damit legitimiere Präsident Wladimir Putin den autoritären Staat, um davor zu warnen, dass sonst Diese an die Macht kommen könnten. Auf der anderen Seite hat die Zentrale Wahlkommission die Partei „Heimat“ unter der Führung von Dimitrij Rogosin nicht zur Duma-Wahl zugelassen.
Am Abend, vier Stunden nach dem Marsch der russischen Neonazis findet in Moskau ein zweiter „Russischer Marsch“ statt. Wieder geht pilgern tausende vom Kutusowksij Prospekt zum Hotel „Ukraina“. Dieses Mal sind es Gruppen und Parteien wie die „Völkische Vereinigung“, Anhänger des revolutionären Faschismus, der nicht rassistisch, sondern imperialistisch ausgerichtet ist. „Die sind sich mit den rassistischen Nationalisten aber spinnefeind“, erklärt er. Mit „die“ meint der Nationalismusforscher, der seit 15 Jahren die rechten Bewegungen in Russland untersucht, diejenigen Politiker und Intellektuelle, die mit anti-amerikanistische und anti-europäischen Parolen das Volk hinter sich bringen wollen. Darunter ist der Vize-Sprecher der Duma, Sergej Baburin, und weitere Parlaments-Abgeordnete. „Diesen anti-westlichen Losungen haben sich alle derzeitig mächtigen Parteien, die an der Duma-Wahl teilnehmen, mehr oder weniger bedient: Von der Kommunistischen Partei Russlands bis hin zur Putin-Partei Einheitliches Russland“, sagt Umland. An einer bedeutsamen linken Partei oder Bewegung fehle es im russischen Wahlkampf komplett.
SOWA, Russlands führendes Menschenrechtszentrum, schlägt in seinem aktuellen Bericht in Anbetracht des Neonazi-Marsches dennoch Alarm: Allein in diesem Jahr verzeichnet das SOWA-Informationszentrum 270 rassisch motivierte, gewalttätige Übergriffe gegen insgesamt 472 Menschen. 53 Todesopfer sind zu beklagen. Galina Koschhewnikowa von SOWA erwartet sogar noch einen Anstieg der Fremdenfeindlichkeit in den nächsten Wochen bis zu Parlamentswahl im Dezember. „Leider sind wir nicht überrascht“, sagt sie. Um 20 bis 25 Prozent steige die Zahl jährlich an. „In diesem Jahr sehen wie jedoch einen Trend gegen neue Feindgruppen, zum Beispiel gegen Homosexuelle.“
In den meisten Fällen sind es laut Bericht betrunkene Gruppen junger Männer, die nach Fußball- oder Eishockeyspielen losziehen und Aserbaidschaner, Usbeken oder Tadschiken verprügeln oder mit Waffen angreifen. Das sind dann meistens die jungen Männer, die auf dem russischen Marsch den Arm zum Hitlergruß ausstrecken.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,515318,00.html
SPIEGEL ONLINE - November 5, 2007, 04:09 PM
URL: http://www.spiegel.de/international/world/0,1518,515380,00.html
NEO-NAZIS ON THE MARCH IN MOSCOW
'We Russians Are Part of the White Race'
By Simone Schlindwein in Moscow
Thousands of Russian neo-Nazis marched through Moscow on National Unity Day this weekend, joined by pensioners, students and families. Experts believe Russia's far right gives President Vladimir Putin a welcome justification for his authoritarian political style.
Russian skinheads, hooligans, nationalists, fascists and racists gathered on Moscow's Kutosovsky Prospect to mark National Unity Day on Sunday. They waved flags as they marched in single file along the banks of the Moskva River and to the Ukraina Hotel, across from the White House, the seat of Russia's government.
"Russia for Russians!" the demonstrators shouted in unison, followed by slogans such as "For a Slavic, Russian nation!" or "Slavic, Russian, Powerful!" The demonstrators stretched out their arms in the Hitler salute between slogans. Their loud shouts of "Slavic Russia!" were followed by the sound of drum rolls.
"We are opposed to the immigration of Caucasians and Asians to Russia. Our people must remain pure. Russia belongs to us," 32-year-old Andrey Bukov explains. The trained media expert says he has been "serving" in the Movement Against Illegal Immigration (DPNI) for four years. He waves its white, yellow and black flag, which features a symbol resembling a swastika.
Nineteen-year-old Sergei carries the red flag of his group -- the "Slavic Union" -- tied around his shoulders. "We Russians are part of the white race," he says. "The blacks -- the Caucasians, the Chechens, the Dagestani -- should stay away," says the Muscovite, a student at the Finance Academy.
Skinheads and Pensioners
The roughly 2,000 demonstrators from the ultra-nationalist scene, who were holding the Russian March for the third year in a row, are a mixed and varied bunch -- a pool of discontented groups and individuals from all classes of society. Elderly women handing out badly photocopied flyers, young female students wearing make-up and high-heeled boots, and parents with small children in colorful snowsuits can all be seen next to skinheads wearing black leather coats, combat boots, SS uniforms or bomber jackets and displaying swastikas. Even young children were giving the Hitler salute.
Pensioner Monika Nikolayeva eagerly passes out flyers portraying oligarchs such as Boris Berezovsky, Vladimir Gusinsky and Mikhail Khodorkovsky as enemies of the people. "These billionaires send their children to school abroad," Nikolayeva, who has a 15-year-old granddaughter, says angrily. "When it comes to our children, there is not even enough money to send them to university in Russia." That is why she believes it is good that young people take to the streets and protest. "Young girls in particular only get limited education!"
The young girls she means are technical university students like Olga and Darya, who are marching beneath the flags. "We're against everything. We're patriots," rants 18-year-old Olga. She and her 19-year-old friend have traveled to Moscow from Rostov-on-Don in southern Russia to attend the demonstration. Asked what they are demonstrating against, she is at a loss for a moment. Then she stutters: "Against the anti-Russian policy in the world -- I can't say it any more clearly."
Nazis are Welcome Bogeymen
Andreas Umland, an expert in comparative fascism studies who specializes in Russia, believes these "organized neo-Nazis" are relatively harmless politically. "It's purely a subcultural provocation," he says. Militaristic fascism has been imported to Russia from the Third Reich, he says, and simply adorned with a few Russian and orthodox symbols. "Within wider Russian society, these fascists are stigmatized," he explains. "This Russian March is more of a protest movement."
Nevertheless the Kremlin allows the ultra-right demonstrators to take to the streets on National Unity Day, a public holiday, and dispatches thousands of security forces to keep the aggressive mob under control. "The Nazis are a welcome bogeyman, an occasion for demonstrating the power of the authoritarian state," Umland says, explaining that President Vladimir Putin uses the neo-Nazis to legitimate his authoritarian political style by suggesting that without it, the far right could take power. On the other hand, Russia's Central Election Commission has banned the "Motherland" party from participating in the elections to the Russian parliament, the Duma.
Later on Sunday evening, four hours after the neo-Nazi demonstrations, a second Russian March took place in Moscow. Again, thousands walked from Kutusovsky Prospect to the Ukraina Hotel. This time, the marchers were members of groups and parties such as "People's Union" -- followers of revolutionary fascism whose ideology is not so much racist as imperialist.
Anti-American Screed
Umland says that this group has little to do with the racist nationalists and their overt Nazism. Generally, says the expert on nationalism -- who has been researching Russia's right-wing movements for 15 years -- groups like the "People's Union" rely on anti-American and anti-European screed to attract followers.
They include the Vice Speaker of the Duma Sergey Baburin and other members of parliament. "More or less all the powerful political parties participating in the Duma elections have made use of these anti-Western slogans -- from the Russian Communist Party to Putin's United Russia," Umland says. But, he adds, there is a complete absence of a significant left-wing party or movement in the run up to the Russian elections.
Russia's leading human rights group, the SOVA Center for Information and Analysis, still sees the neo-Nazi march as reason to sound the alarm. In its latest report the SOVA Center says it recorded 270 racially motivated violent attacks against a total of 472 people, 53 of whom have died. SOVA's Galina Kozhevnikova is even expecting an increase in xenophobia during the coming weeks, in the run up to the parliamentary elections in December. "Sadly, we are not surprised," she says. The figure increases by between 20 and 25 percent every year, Kozhevnikova explains. "But this year we are seeing a trend towards the targeting of new enemy groups, such as homosexuals," she adds.
Most incidents described in the report involve drunk young men on the prowl after football or ice hockey games. They beat up Azerbaijanis, Uzbeks or Tajikistanis or attack them with weapons. Usually, it is the very same young men who can be seen giving the Hitler salute at the Russian March.
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