Samstag, 10. November 2007

Geburtstag einer Todesmaschine

AK-47

Geburtstag einer Todesmaschine

Von Simone Schlindwein

Kein Gewehr ist weiter verbreitet, mit keinem haben Menschen öfter getötet als mit der AK-47, besser bekannt unter dem Namen ihres Erfinders Michail Kalaschnikow. Vor 60 Jahren wurde das erste Exemplar gebaut, was in Moskau pompös gefeiert wurde.



"Wenn die Deutschen nicht gewesen wären, hätte ich die Kalaschnikow nicht gebaut!“, sagt Michail Timofejewitsch Kalaschnikow. Er ist der Vater des meistverkauften Exportproduktes der Sowjetunion und Russlands. Der 87jährige steht ganz im Mittelpunkt, als in Moskau die pompösen Feierlichkeiten zum 60sten Jahrestag des Sturmgewehres beginnen. Marschmusik, Feuerwerk und Kanonenschüssen machen den Auftakt.

Russland feiert die „AK-47“. Das ist die Abkürzung der russischen Bezeichnung „Awtomat Kalaschnikowa Obrasza 1947“, was soviel heißt wie „das Muster des Automats von Kalaschnikow aus dem Jahr 1947“. Den ersten Prototypen übergibt Kalaschnikow voller stolz dem Museum der sowjetischen Streitkräfte als Ausstellungsstück. Es ist sein Lebenswerk.

Doch die scheinbar so große Geste des alten, tattrigen Waffenkonstrukteurs ist im Grunde genommen reine PR. Veranstaltet von Russlands größter Waffenexportfirma Rosoboronexport. Er ist nur die Schaufensterfigur. Für eine Institution, die nicht gern selbst in der Öffentlichkeit steht. Der staatliche Konzern ist eng verbandelt mit dem russischen Auslandsnachrichtendienst SWR, dem Nachfolger der Auslandsabteilung des KGBs. Noch dazu ist der Chef von Rosoboronexport, Sergej Tschemesow, ein früherer Geheimdienstkollege von Präsident Wladimir Putin. Sie kennen sich aus DDR-Zeiten. Gemeinsam waren sie dort in den achtziger Jahren im Einsatz.

Es ist eine Geschichte voller positiver Superlative, die an diesem 60sten Jahrestag der AK-47 präsentiert wird. Kein Wort darüber, dass die „Kalaschnikow“ und deren Nachfolgemodelle das meistgebrauchte Gewehr der Welt ist. Eine Massenvernichtungswaffe also, denn mit ihr wurden mehr Menschen getötet als mit der Atombombe. In fast allen Kriegen der Welt kam sie seit den 50er Jahren zum Einsatz: in Korea, Vietnam, Afghanistan, Kongo, Mosambik, Sierra Leone, auf dem Balkan – die Liste lässt sich ins Unendliche fortsetzen.

Fragt man Michail Kalaschnikow nach seinem Gewissen, so antwortet er: „Ich habe doch mein Vaterland verteidigt. Ich bin ein Patriot.“ Und so denken auch die russischen Soldaten, die die Feierlichkeiten im strengen Gleichschritt begleiten: „Er ist unser Held, natürlich!“

Er ist ein Vorzeigeheld. Die Marketingabteilung von Rosoboronexport hat ihn vorgeschoben, um möglichst viele internationale Journalisten zur Veranstaltung zu locken. So läuft auch zuerst ein 20minütiger Werbefilm über die Kalaschnikow-Produktion in der Waffenschmiede im Ural. Erst nach einer überschwänglichen Ansprache des Rosoboronexport-Vertreters über die heldenhaften Leistungen Kalaschnikows für das Vaterland darf dann der gebrechliche Vorzeige-Azket mit zittrigen Händen und gebrochener Stimme endlich aus seinem Leben erzählen.

Die Deutschen, so sagt er, haben in seinem Leben immer wieder eine entscheidende Rolle gespielt: Zuerst hätte der Angriff auf die Sowjetunion verhindert, dass er Ingenieurstechnik studiere. Dann sei er im Krieg als Panzerkommandant von einer deutschen Kugel getroffen und schwer verwundet worden.

„Die Deutschen hatten ja schon automatische Waffen. Damals, 1941“, erklärt er plötzlich ganz aufgeregt. Im Lazarett habe er einen Entschluss gefasst. Mühsam habe er sich Materialien und Werkzeug zusammengesucht: „Ich musste doch meinen Kameraden da draußen helfen!“

Der Autodidakt Kalschnikow fing an, das erste sowjetische Sturmgewehr zu basteln. 1944 schickte er seinen Vorschlag an das Institut für Kriegstechnik in Moskau. „Nach drei Tagen bekam ich einen Brief. In dem stand, dass mein Gewehr das schönste gewesen sei“, betont er mit einem stolzen Lächeln. „Dabei hatte ich nicht einmal Patronen auftreiben können, um auszuprobieren ob es auch wirklich funktionierte.“

So stieg Kalaschnikow nach Kriegsende schnell zum führenden Waffenkonstrukteur auf, erhielt zweifach den sowjetischen Orden "Held der Arbeit", die er auch bei den Feierlichkeiten am Revers trägt. In seinem Konstrukteursbüro in der Waffenschmiede im Ural waren Zwangsarbeiter aus Deutschland im Einsatz, als die Serienproduktion 1947 in Gang kam. Produziert wird sie dort bis heute. In derselben beschaulichen Stadt Ischewsk, von wo aus sie den Weltmarkt eroberte.

Es wird geschätzt, dass heute bis zu 100 Millionen AK-47 weltweit im Umlauf sind. Der Großteil stammt aus sowjetischer, später russischer Produktion. Einige Länder des ehemaligen Warschauer Paktes besitzen Lizenzen, Nachahmermodelle zu fertigen. Fast 60 Armeen rüsten noch immer ihre Soldaten damit aus.

Die Kalaschnikow ist in Russland nach wie vor ein Symbol: ein Sinnbild für Patriotismus. Doch anderswo steht sie vor allem für Bürgerkrieg, Befreiungskampf und Terrorismus. Die enorme Widerstandsfähigkeit der einfachen AK-47 bei Regen, Schlamm, Sand und Schnee macht sie zur liebsten Waffe der Rebellenbewegung. Aus einem einfach Grund: Sie ist billig und schlichtweg unkaputtbar. Im Kongo werden heute noch Modelle aus den 50er Jahren auf dem Schwarzmarkt verkauft. Die Kindersoldaten, die damit ausgerüstet werden, sind oft nicht größer und werden auch nicht älter als das Gewehr, das sie stolz über den Schultern tragen.

Auch Terroristen schmücken sich gerne mit der „Kalaschnikow“. Auf den Flaggen von Mosambik, Osttimor und Zimbabwe ist das Gewehr als Zeichen der Befreiungsbewegung zu finden. Selbst Osama bin Laden ließ sich mit der „Kalaschnikow“ in der Hand fotografieren.

Sie war ursprünglich zur Verteidigung des sowjetischen Vaterlandes gebaut worden. 60 Jahre später wird sie vor allem in denjenigen Kriegen eingesetzt, die nicht zwischen Staaten geführt werden. In den Kriegen, die jenseits der internationalen Regeln stattfinden. Wie eine Studie der „Federation of American Scientists“ (FAS) besagt, kann eine UN-Konvention über die Nichtverbreitung von Handfeuerwaffen ein entscheidender Schritt sein, internationalen Terrororganisationen den Nachschub abzuschneiden. Doch hier stellen sich besonders die beiden Vorreiterstaaten im Kampf gegen den Terrorismus quer: die USA und Russland.

http://www.spiegel.de/panorama/zeitgeschichte/0,1518,493106,00.html

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