Mittwoch, 11. Juli 2007

Im Nervenkrieg mit der Moskauer Miliz

Live-Erfrahrung nenne ich solche Tage. Die muss man einfach machen, damit man in seinem Blog was erzählen kann;-)
Ohne Scherz: Ich saß den ganzen Tag mit einem verschmitzten Schmunzeln im Gesicht auf der Moskauer-Miliz-Station und habe ungläubig den Kopf geschüttelt. So viel Behördenchaos hätte ich diesem Staat nie unterstellen wollen. Aber der Reihe nach...

Meine Registrierung sprich, meine offizielle Anmeldung als Ausländer bei den Moskauer Behörden, hatte sich in Luft aufgelöst, noch bevor ich sie je gesehen habe. Der Fahrer hatte sie angeblich abgeholt für mich, doch bekommen habe ich sie nie. Also brauche ich nun eine neue - wer weiß wo er sie verbummelt hat. Um eine neue Registrierungsbescheinigung zu bekommen, muss ich jedoch bestätigen, dass ich die alte nicht mehr habe: Verlustanzeige bei der Polizei. Dankenswerterweise hat sich der Fahrer wenigstens eine "Ausrede" ausgedacht für mich - sehr einfallsreich sogar: "Der Wind hat den Zettel weggeweht und er ist in die Kanalisation verschwunden." Wow, soviel Erfindergeist an einem Tag!! Nun gut, so viel Unglaubwürdiges konnte ich auf Russisch gerade noch erzählen ohne einen Lachanfall zu bekommen.

Das schöne an Putins perfekten Polizeistaat ist: Die Milizstation ist im Zweifel immer nur 2 Minuten Fußweg entfernt. Also schlenderte ich dort vorbei, ließ mich von der Kalaschnikow am Eingang nicht abschrecken. Der Geruch nach feuchten Schweißfüßen war noch viel schlimmer. Dann war ich auch schon mittendrin im Behördendschungel. Ich erzählte die Geschichte dem Typ am Eingangsdesk, der so dick war, dass er nicht in seine schusssicheren Weste passte. "3.Stock, Zimmer 31" - quoll aus ihm heraus. Dort wartete ich in der Warteschlange. Im Flur stank es wie in einer Ausnüchterungszelle. Ich setzte mich ans Fenster, zog es weit auf.

Nebenan ist das Gebäude des föderalen "Bundesrats", in dem Putins Vasallen sitzen. Ich beobachtete den Stau des S-Klasse Mercedes in der kleinen Seitengasse und freute mich: Wenigstens im Moskauer Verkehrschaos waren sie alle gleich, die Armen wie die Reichen. Ob nun Mercedes, Bugati oder Lada - sie kamen alle nicht weiter. Auf einer Marathon-Sitzung im Bundesrat wurden heute 100 Gesetze auf einmal verabschiedet. Als ich meinen Arbeitsplatz verlassen hatte waren sie bei Gesetz Nummer 25, ich fing an zu überlegen, wie viele Gesetze man verabschieden kann, solange ich auf der Miliz bin.

Plötzlich regte sich was um mich im Flur. Die Tür zum Zimmer 31 flog auf. "Was wollt ihr denn alle, heute?" brüllte der kleine Picklige durch den Gang. "Geht runter, 2.Stock, Zimmer Nr. 8". Ich rannte ganz schnell die Treppe runter, vielleicht hatte ich so Chancen, die erste zu sein. Pech gehabt. Ich wurde direkt von der Warteschlange vor Nr. 8 gefressen...
Nach einer weiteren Stunde klopfte endlich mal jemand an die Tür zu Nr. 8, denn es war schon merkwürdig. Überall rannten die Polizisten rein und raus, wuselten über die Gänge, um zu stempeln und auszudrucken, nur bei Nr. 8 regte sich gar nichts: Da war gar niemand drin!

Die besoffene Tussi neben mir brüllte durch den Korridor: "Nummer 8 wo bist du, wo bist du?" Da kam ein riesengroßer Blonder, total genervt "Was wollt ihr denn von mir? Ich hab keine Befugnisse!" Dann verschwand er wieder. Ich ging genervt hoch zu Nr. 31, kloppfte erst gar nicht an, platzte ins Zimmer und fragte nach Formularen zum ausfüllen. Es kann ja nicht sein, ich sitze auf einer russischen Behörde und hatte in 3 Stunden noch keinen einzigen Zettel ausgefüllt! Er gab mir schweigend 2 Formulare, rauchte an seinem Stummel, tat sonst nichts.

Es war Trick 17: Ich ging runter. Alle guckten mich aus der Warteschlange vor dem leeren Zimmer Nr. 8 an, fragten: "Was hast du da?" - "na, das Formular zum ausfüllen!" Sie rannten. Endlich hatte ich wieder einen Sitzplatz auf der Fensterbank vor Nr. 8. Dort verewigte ich meine Wind-und-Kanaldeckel-Geschichte, schmückte sie mit Uhrzeiten und fiktiven Ortsangaben aus.. Ich hatte ja wieder viel Zeit, kreativ zu sein.

Der Fernseher lief im Nebenzimmer: Gesetz Nummer 45 war auch abgenickt worden, wie alle bislang. Irgendwelche neuen Verkehrsregeln... Dann kam der große Blonde wieder, ging in Nr. 8, setzte sich neben das "Rauchen verboten"-Schild, zündete sich eine Zigarrette an und als er die genüsslich fertig hatte, winkte er mich wortlos rein. "Was willst du?" - Ich gab ihm meine Formulare. Er zeriss sie in Fetzen, ohne sie angesehen zu haben. Gab mir dieselben Formulare wieder - "ausfüllen! nochmal!" Ich parrierte, gab sie ihm wieder. Er guckte mich an: "Ausländer!" Ja, das ist schon ein Vergehen in Russland manchmal. "Andere Formulare!" ok, ich machte alles mit... er diktierte mir irgendwelchen Kauderwelsch, den ich nicht verstand. Ich schrieb brav mit. Dann tippte er meine Handschrift in seinen PC ein, druckte den Zettel aus. Druckeropatrone leer.. es dauerte ca. 20 Minuten bis er eine neue besorgt hatte.
"Wie hast du deine Dokumente verloren?" - endlich kamen wir zur Sache. Er lachte. "Der Wind, hm. ja, der geht manchmal!" Er zeriss die Zettel wieder. "Schreib was anderes auf!" Also wieder von vorne... "Passport?" ich gab ihm meinen Pass. Er ging damit davon. Ich ließ das mit dem Wind sein: Meine Papiere waren in den Kanal gefallen. Punkt.

Mittlerweile kannte ich seine ganze Familie, inklusive Hasen und Katzen von seinem Bildschirmschoner. Dann tippte er wieder mein Geschreibsel in seinen PC, druckte es aus. "Unterschreib!" Ich las zum Glück vorher, was ich da unterschreiben sollte... aber ich hab doch nicht meinen Pass verloren, sondern meine Registrierung! Er guckte wie ein Fragezeichen. "Sag das doch gleich!" Phu, hier musste ich ganz fest auf die Zunge beißen, hatte er mir nicht eben meinen Pass abgenommen?

Also, wieder neue Formulare ausfüllen, wieder abtippen, ausdrucken, unterschreiben. Er war fast so genervt wie ich. "Stempel kriegst du woanders, ich weiß nicht wo der ist!" Also bin ich von Pronzius zu Pilatus, um einen Stempel zu finden.

Als ich das Gebäude verließ waren es 5 Stunden und 60 Gesetze später. Zum Glück standen draußen immer noch die selben Autos im Stau vor der Tür, sonst hätte ich das Gefühl gehabt, als einziger Mensch heute meinen Tag verschwendet zu haben!

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