Samstag, 7. Juli 2007

Survival-Trainer Moskau

"Pass auf dich auf!" - diesen Satz habe ich unzählige Male vor meiner Abreise gehört. Moskau sei gefährlich. Besonders für Journlisten. Ich soll achtgeben, vor den kriminellen Russen, den Polizisten, Tschekisten, Terroristen, Extremisten, Putinisten, ehemaligen Kommunisten, Bolschewisten und all die anderen -Isten. Doch die wirklichen Gefahren in Moskau lauern ganz wo anders und sind jeden Tag allgegenwärtig:
  • Wer morgens in die Dusche steigt, muss unbedingt aufpassen, ob nicht doch heißes Wasser aus dem Hahn kommt. Das ist im Sommer eigentlich abgestellt, will man keinen extra-Aufschlag zahlen. Doch manchmal verirrt sich doch die kochend heiße Brühe in die Leitung und dann ist es vorbei mit der Erfrischung am Morgen.
  • Wer noch verschlafen die Wohnung verlässt und ausversehen die schwere Stahltür nicht richtig festhält bevor man den Schlüssel innen abgezogen hat, der steht vor der eigenen Wohnungstür - gesichert durch einen dreifachen Schließmechanismus - einfach unkaputtbar. Und man bekommt sie nie wieder auf!
  • Wer nach einem nächtlichen Regenschauer ohne Gummistiefel aus dem Haus geht, der geht direkt baden: in der nächsten Pfütze, die so tief ist, dass man darin ertrinken und keinesfalls drum herum gehen kann.
  • Wer auf dem Weg zur Metro in den Moskauer Himmel guckt und sich Gedanke über das Wetter macht, der stolpert direkt über den nächsten wilden Straßenköter, der einem zähnefletschend anbellt und mit seinen Flöhen um sich wirft.
  • Wer im Fluss der Masse durch die Schwingtür die Metro betritt, der darf sich nicht darauf verlassen, der der vor einem gehende die Tür aufhält. Immer einen Schritt Abstand halten, sonst kriegt man sie mit voller Karacho an den Kopf.
  • Wer vergessen hat, sich jenseits der Haupstoßzeiten eine Metro-Fahrkarte zu kaufen, der verirrt sich in der Warteschlange vor dem Ticketschalter.
  • Und wenn man dann nicht schnell genug durch das Drehkreuz durchkommt, schnappt die Falle zu und man hat die "Schranke" mit voller Wucht in den Weichteilen hängen. (Besonders für Männer sehr gefährlich)
  • Wer auf die Rolltreppe aufspringen will, muss schnell sein, sonst reißt sie einem in die Tiefe. Bloß nicht links stehen bleiben und die hetzende Menge blockieren, sonst hat man direkt den Ellenbogen in der Laiste hängen. Rechts gehen, links stehen. Leuten mit Höhen- und Platzangst kann ich nicht raten, die Metro zu betreten.
  • Achtung: In den unterirdischen Gängen - 150 Meter unter der Erde - kann man sich leicht verirren, an Luftmangel sterben und vom reißenden Strom der Menschenmassen mitgeschwemmt werden. Tipp: Bloß nie stehenbleiben. Immer im Gleichschritt mit den anderen gehen. Die Russen haben das in 70 Jahren Kommunismus einstudiert. Wer ausbricht, hat keine Chance. Außerdem herrscht unterirdisch linksverkehr, also bloß nicht den falschen Gang betreten. Wer gegen den Strom schwimmt wird mit bösen Blicken getötet oder muss sich an den feuchten Wand entlang quetschen bis der Tunnel zu Ende ist.
  • Wer dann endlich hinter der nächsten Menschenfront die Gleise erahnen kann, der sollte sich schleunigst Rückendeckung suchen. Sonst wird man womöglich in den schon proppe-vollen Zug hineingequetscht. Hier besteht extreme Taschen/Ärmel/Rockzipfel-Einklemmgefahr! Wer schon einmal mit einem seiner Gliedmaßen/Kleidungsstücke in der Tür eingeklemmt wurde und entsetzt feststellen musste, dass an der nächsten Station nur die gegenüberliegenden Türen aufgehen, der weiß was es heißt, im Kreis zu fahren, bis man aus der Falle entkommt.
  • Extrem wichtig: In der Metro wird folgender Satz durchgesagt: "Ne sobiraete baschewo weschy!" Das heißt: "lassen sie bloß nichts liegen!". Das ist ernst gemeint! Wer seinen Rucksack irgendwo liegen lässt, der kann sich sicher sein, dass er gefunden wird - und zwar vom Terror-Sondereinsatzkommando "Speznaz" und man sitzt gleich im Hinterzimmer der Metro-eigenen Polizeistation fest. Von dort aus gibt es unterdirdische Tunnel, die direkt in der Lubjanka enden und die hat noch im 10. unteridischen Stockwerk Gefängniszellen frei.
  • An CO2-Vergiftung zu sterben, ist nicht der schlimmste Tod, mag sein. Dennoch: Immer noch einmal Luft holen bevor man in den Zug hineingequetscht wird. Dann direkt umdrehen. Wer je wieder rauskommen will, der sollte sich mit dem Gesicht direkt an die Tür stellen. Wer mit dem Rücken zur Tür steht, wird an der nächsten Station rücklings davongespült und überrannt.
  • Nicht genug getrunken vor der Metrofahrt? Selbst schuld! Jede Stunde Fahrtzeit kostet den Körper 1 Liter Flüssigkeit, einige kostbare Nerven und 0,2 Milimeter Zahnschmelz (vom Zähne zusammenbeißen)
  • Wer das Tageslicht je wiedersehen will, der muss wissen wo es aus dem Labyrinth raus geht. Man merke sich folgende Buchstabenreihenfolge: выход в город. Tipp, wer schon die Orientierung verloren hat: es geht nach OBEN!! Immer nach dem Prinzip: hauptsächlich raus hier! Wer es nicht schafft, der fahre solange mit dem Zug weiter bis es leerer wird. In den Vorstädten kann man kurz Luft schnappen, bevor man es auf dem Rückweg erneut probiert.
  • An der frischen(?) Luft erst einmal Sauerstoff tanken. Dann das Gehirn wieder langsam hochfahren. Orientierung wiederfinden: wohin muss man eigentlich? Wo ist man herausgekommen? Zu spät? Bloß nicht aufregen! Dein Chef steckt sicher im selben Chaos fest;-)
  • Du stehst auf der falsche Straßenseite?? Jetzt gibt es zwei Optionen: Oben oder unten durch. Jetzt erst einmal Risikoabwägung: Die nächste Ampel ist sicher 3 Kilometer entfernt. Such`sie erst gar nicht. Über die Straße, von Fahrbahn zu Fahrbahn sprinten oder die nächste Unterführung suchen? Das hängt von deiner Kondition ab: Bist du Lang-oder Kurzstreckenläufer? Keins von beidem? Dann solltest du trainieren, ist überlebenswichtig!
  • Du stehst in der richtigen Straße, vor der richtigen Hausnummer? Und findest doch keinen Eingang? Versuche es im fünften bis siebten Hinterhof. Immer aufpassen, dass man die Orientierung nicht verliert! Verschwende keine Zeit, eine Klingel zu suchen. Wenn du nicht nach dem Eingangs-Code gefragt hast, dann geh nach Hause. Ohne kommt man in das Haus nicht rein.
  • Hast du den Code doch zur Hand, Glückwunsch. Aber nicht zu früh freuen. Gibt es einen Fahrtstuhl? Dann unbedingt vorher prüfen: Funktioniert das Handy, hast du ausreichend Empfang? Sonst die Feuertreppe suchen. Fahrstühle bleiben zwischen jedem Stockwerk mindestens ein Mal stecken.
  • Du hast dein Ziel erreicht und keine Klamotten zum wechseln dabei, kein Handtuch und Deo mit? Na, dann lauert in der Klimaanlagenfröstelkälte nun die nächste Erkältung auf dich! Nimm es positiv, wenn es dich nun fiebrig ins Bett wirft: Morgen bliebt dir der Stress erspart und du kannst dich von deinem Tag erholen.
Hast du jetzt schon genug vom Tag? Na, dann frohes Schaffen!

3 Kommentare:

oberlik hat gesagt…

Feuerleiter suchen? Welche Feuerleiter?

Simone Schlindwein hat gesagt…

manchmal gibt es sie. eine hintertreppe als notausgang. die ist nur meist verschlossen;-)

Thomas Stylewalker P hat gesagt…

Sechster Hinterhof? Ampel in drei Kilometern, Zelle frei im zehnten Untergeschoss? Mann, ist das krass..